Google-Suchergebnisse werden populistisch – Verantwortung des Einzelnen

Google-Suchergebnisse werden populistisch – Verantwortung des Einzelnen

Google - Gott - KI
Google – Gott – KI

Google hat in den vergangenen Monaten seinen Algorithmus erheblich verändert. Während viele sich auf „Oberflächen-Updates“ wie Panda oder Penguin konzentrieren, laufen die wirklich dramatischen Veränderungen still und leise im Hintergrund: das Phantom-Update mit dem Fokus „User-Intention“ und das Implementieren von „künstlicher Intelligenz“ in den Algo. In diesem Artikel möchte ich diese Entwicklung weiterdenken und überlegen, welche Konsequenzen das hat…

RankBrain und KI

Google Phantom-Update
Google Phantom-Update

Das Phantom Update hat eine völlig neue Herangehensweise an die Auswahl der Google-Suchergebnisse eröffnet. Vorher waren nur seitenbezogene Rankingfaktoren ausschlaggebend (Backlinks, Titel, Content, Bilder etc.). Diese Faktoren waren zwar viele, aber im Grunde berechenbar.

Doch mit dem Phantom-Update wurde der RankBrain eingeführt: dieser übergeordnete Teil des Algorithmus setzt vor der Auswahl der relevantesten Ergebnisse an: was ist überhaupt die Intention der Anfrage? Das klingt zunächst trivial, hat aber gravierende Auswirkungen. Ein Beispiel: Wer nach „Gleitsichtbrille“ sucht, was sucht er oder sie eigentlich genau? Für die Beantwortung dieser Frage kommen völlig andere Faktoren ins Spiel:

Big Data als Basis

Wonach hatte der User vorher gesucht? Vielleicht nach „Brille kaufen“, und dann direkt danach nach „Gleitsichtbrille“? Dann kann man vermuten, dass die Person nach „Gleitsichtbrille kaufen“ sucht. Oder: hatte die Person vorher nach „Wie funktioniert eine Brille?“ gesucht, und anschließend nach „Gleitsichtbrille“, dann kann man vermuten, dass die intendierte Suchanfrage „Wie funktioniert eine Gleitsichtbrille?“ lautet. Die besten, relevantesten Suchergebnisse sind also trotz des gleichlautenden Suchwortes verschieden.

Neben der Suchhistorie spielen potentiell weitere Faktoren bei der User-Intention eine Rolle: was weiß Google über die suchende Person? Alter, Wohnort, Mobilität, Schulbildung, Einkommen, Hobbies, und vieles mehr können Google dabei helfen, die Intention einer Suchanfrage besser einschätzen zu können. Ich habe diese Überlegungen mal in einer Art Infografik zusammengefasst:

Google Algorithmus Übersicht (2017)
Google Algorithmus Übersicht (2017)

Allerdings ist sich Google in vielen Fällen noch nicht ganz sicher, ob das – bezogen auf die Einzelperson – wirklich zutrifft. Möglicherweise ist das „Userprofil“ lückenhaft oder falsch. Zu stark individualisierte Suchergebnisse würden das Risiko in sich tragen, dass es zu unbefriedigenden Ergebnissen kommt. Was nun?

Ganz einfach, und hier kommt nach meiner Einschätzung die künstliche Intelligenz zum tragen: Google analysiert aus den gigantischen Datenbeständen „Mittelwerte“, statistische Wahrscheinlichkeiten – die zwar statistisch, aber eben nicht statisch sind Und zwar bezogen auf jedes einzelne Keyword, auf jeden individuelle Suchanfrage. Der Algorithmus lernt also quasi für jede Suchanfrage individuell, welches Ergebnis das relevanteste ist, und zwar bezogen auf die Intention der Mehrheit der Suchenden.

Qualität ein Auslaufmodell

Qualität?
Qualität?

Dieser Ansatz verändert den Qualitätsbegriff grundlegend.

Bislang war es so: Google-Ingenieure hatten Qualitätssignale definiert – oder eben das Gegenteil: Anti-Qualitätssignale (Spam). Die zahlreichen Rankingfaktoren (200 oder mehr) wurden in einer mehr oder weniger komplizierten mathematischen Formel miteinander verwoben und führten so zu einem Ranking. Grundlage der Bemühungen war jedoch ein individuell gesetzter Qualitätsbegriff. Was gut und was schlecht war, haben Ingenieure von Google gesetzt. Zuletzt war es das holistische Modell à la Wikipedia.

Aber diese Herangehensweise wird nun zunehmend durch einen automatisierten Prozess übernommen. Diese künstliche Intelligenz kann von sich aus nicht wissen, was gut und was schlecht ist. Aber sie lernt es, indem sie aus Besucher-Verhalten lernt. Dieser Prozess ist unstrittig eingeleitet. Noch hat der KI-Algo seine Macht sicherlich nicht wirklich entfaltet. Er befindet sich in der Aufwärmphase, und die alt-bekannte Rankingfaktoren werden noch im Vordergrund stehen. Aber es ist zu erwarten, dass die KI zunehmend die Kontrolle über den gesamten Prozess gewinnen wird. Die KI entscheidet dann über „Qualität“, oder besser gesagt: über „Relevanz“.

Antworten werden demokratisiert

Die KI hat keine „Wertmaßstäbe“ an sich – sie definiert „Relevanz“ anhand von User-Signalen – die Ergebnisse werden also „demokratisiert“. Das klingt erst mal ganz gut, nur verbinden sich in einem weitgehend unreguliertem Raum wie dem Internet damit auch weitreichende Gefahren. Klickverhalten, Absprungrate und die Interaktionsfreudigkeit werden zu bestimmenden Faktoren. Und für bestimmte Themen, das zeigen aktuelle politische Entwicklungen, werden dadurch auch die Suchergebnisse „populistisch“ werden. Aber nicht nur das…

Manipulation durch Masse

Auch Facebook und Twitter setzen bereits auf ähnliche Konzepte. Und hier zeigt sich, wie anfällig solche „demokratisierten Algorithmus-KIs“ für Manipulationen durch Massensignale sind. Mit Hilfe von „gezüchteten Spam-Bot-Armeen“ lässt sich durch pure Masse das Ausspielen bestimmter Ergebnisse beeinflussen. Wer meint, dass man Spam-Bots doch ganz einfach identifizieren könne, irrt. Immer perfider werden die Tricks, um künstliche Menschen virtuell zum Leben zu erwecken. In Kombination mit Hacker-Angriffen werden solche Systeme noch echter.

Internet ist krank ...
Internet ist krank …

Das Phänomen ist natürlich auch schon lange in der Online-Marketing-Branche bekannt, und es gibt verschiedene Dienste, die damit werben, über „Massensignale“ (Klicks, Views, Likes etc.) die Rankings zu beeinflussen. Nur haben die bislang nicht so recht gegriffen, weil der Google-Algorithmus aufgrund menschlicher Vorgaben im Prinzip noch zwischen „gut und schlecht“ unterscheiden konnte. Das wird sich in dem Maße auflösen, in dem die KI die Kontrolle über den Prozess gewinnt.

Jeder einzelne prägt die Werte…

Für jeden von uns folgt daraus, vorsichtig zu bleiben, was die „Objektivität“, den „Wahrheitsgehalt“ und die „Relevanz“ der Suchergebnisse betrifft. Das macht ein mündiger User jetzt schon – und dennoch wissen wir alle, wie viele immer noch glauben, das, was Google als erstes Ergebnis ausgibt, sei „wahr“ und „objektiv“.

Es folgt daraus aber auch eine neue Verantwortung, die jedem obliegt: nämlich durch sein Such-, Klick- und Interaktionsverhalten an der Setzung von Werten insgesamt mitzuwirken. Über diese Verantwortung, die sich aus ihrem Verhalten im Internet ergibt, machen sich bislang vermutlich die wenigsten Gedanken …

Flapsig zusammengefasst: früher war Google Gott. Nun hat das eine künstliche Intelligenz übernommen.

Google -> Gott -> künstliche Intelligenz
Google -> Gott -> künstliche Intelligenz

10 Gedanken zu „Google-Suchergebnisse werden populistisch – Verantwortung des Einzelnen

  1. Sehen ja gerade bei Youtube, was Nutzersignale für das Ranking und die Qualität von Inhalten bedeuten. Nämlich das es keine Qualität mehr gibt und es RTL-Content – weil gesehen, gesucht, konsumiert – an die Spitze schafft. Gaaaaanz tolle Aussichten sind das.

  2. Grüße Martin. Ja dieser Kreis ist eindeutig und bestätigt die Automatisierung durch Algorithmus. Ich vermute einfach sie haben den Algo eingespielt und bereiten sich auf die Zukunft der Sprachsuche vor. Wenn dort falsche Ergebnisse geliefert werden, dann kann es schon den Nutzer frus­t­rie­ren. Derzeit hält sich die Nutzung noch in Grenzen. Alex

  3. Google möchte hoffentlich nicht bloß kollektive RTL-Präferenz-Muster in der Nutzerintention erkennen, sondern sie, wie Martin schreibt, mit ganz individuellen Profilinformationen kombinieren.
    Wenn Boris Becker in München vor dem Hotel steht und ins Handy „Pizza bestellen“ eingibt, steht die Edelpizzeria mit Gerichten ab 25€ ganz oben weil er vorher bei Luis Vuitton online bestellt hat – und wenn der Hotelfach-Azubi an der Bushalte ein paar Meter weiter dasselbe eingibt, zeigt Google ihm als erstes Ocakbasi Döner & Pizza ab 3€. Darin sehe ich erstmal keinen „Verlust der Objektivität“, sondern eine bessere Leistung.

    Worauf ich gespannt bin, sind die Auswirkungen der zunehmenden semantischen Intelligenz von Google. Eine Suchmaschine, die geschriebene Sprache wirklich versteht und nicht bloß statistisch auswertet, kann noch einmal eine ganz andere Art von „Qualität“ liefern. Ich hatte die Gelegenheit die Analyst Toolbox von ai-one.com zu testen. Die Toolbox fügt der Googlesuche praktisch ein echtes Textverständnis hinzu und die Suchergebnisse sind in der Tat von einer ganz „anderen Qualität“. Vom Eindruck eher wie eine manuell recherchierte Liste, die ein menschlicher Assistenz zusammen gestellt hat, nachdem er sich wirklich jede der möglichen Seiten angeschaut hat. Man kann – und sollte – hier sogar mit ganzen Sätzen oder gleich mehreren zusammenhängenden Sätzen suchen, die ganz genau die Problem- oder Fragestellung beschreiben. Die AI „versteht“ die Frage und wirft handverlesene Ergebnisse heraus…

  4. Hallo Martin,
    ich teile deine Ansichten auf jeden Fall. Der „RTL-Content“ spiegelt leider das grausame Bild des Qualitätsverlust wieder. Auch die Sprachassistenten Alexa und co tragen genau zu diesem Phänomen bei. Bald wird wirklich jeder auf sich personalisierte Ergebnisse in den Serps sehen.(Nicht das sie das schon wären :-P)

  5. Hallo Martin,
    ganz so dramatisch sehe ich das nicht. Beim Lesen kam ich mir gerade so vor, als würde ich mit einem Kunden über die Datenschutzbestimmungen von Google Analytics diskutieren. In der Vergangenheit war Google „stets bemüht“ die Qualität der Suchanfragen zu verbessern, was auch für die Ausspielung von Google AdWords gilt.

    Es hätte schon was, wenn es intelligente Suchergebnisse geben würde. Schließlich hat ein und das selbe Wort manchmal mehrere Bedeutungen. Gerade wenn man nicht B2C sucht, sondern B2B Wörter (z.B. Bohrmaschine). In der Regel tickt der B2B Suchende aber erstmal wie ein B2C-Mensch. Da wäre es doch fein, wenn auf dem Firmen-PC/Mobil andere Ergebnisse erscheinnen würden als auf dem Privat-PC.

    Und: RTL und Blöd sind halt Mainstream. Mainstream regiert ganze Länder. Wer sich intensiver mit wirklich wichtigen Dingen beschäftigt, musste schon immer ein wenig mehr suchen. Auch Offline!

  6. So ganz verstehe ich die Aufregung auch nicht ;-). Es ist doch wirklich interessant wie Google seinen Algorithmus anpasst und wieso auch nicht, schließlich will Google seinen Benutzern die „Besten“ Suchergebnisse ausspielen.

    Es war doch schon immer so, Google gibt vor und wir versuchen das Beste drauß zu machen :-).

    VG
    Sven

    1. Hallo Sven, ja ich sehe das auch so. Die Aufregung rund um die Updates und Algos ist nicht nachvollziehbar. Ich meine schließlich hat das alles nichts mit Qualitätsverlust zu tun. Dahinter steckt ein cleveres Konzept. Wer dem folgt, wird keine Probleme haben sich anzupassen.

  7. „Qualität ein Auslaufmodell“

    Besser lassen sich Googles neue Ranking-Kriterien nicht beschreiben.
    Schlimmer noch: längst totgeglaubte SEO-Techniken feiern nun auch noch ihre Wiedergeburt.

    Die ersten Ränge belegen plötzlich ehemalige Nobody-Domains mit hundertfacher Varianz des Musters „www.domainname.de/dienstleistung-städtename/“ von Aachen bis Zossen. Die SEO-Klitsche um die Ecke
    taucht über Nacht ganz oben auf, mit der dreifachen Anzahl Backlinks von Apple Deutschland – usw. die Liste ist lang.

    America hat Google, China hat Baidu, Russland hat Yandex.
    Wieso schafft es Europa mit einem Wirtschaftsraum von knapp 5,5 Mrd. Menschen eigentlich nicht eine eigene (gewichtige) Suchmaschine auf die Beine zu stellen?

    P.S.
    witziges Captcha.

    1. Sag ich dir. Datenschutz. Wir verehren unseren Gott den Datenschutz, der im Internet aber leider alles dicht macht. Gründe mal Firmen wie Facebook oder Google in Deutschland… du wirst doch nach 5 Minuten in Grund und Boden geklagt.

      Beim Rest stimme ich dir zu, denn für MICH liefert Google inzwischen mit die schlechtesten Ergebnisse seit Jahren. Meistens werde ich erst auf Seite 3 oder so fündig und skippe inzwischen auch schon direkt auf Seite 2 oder 3. Auf 1 brauchst du meistens gar nichts mehr erwarten.

  8. So übel finde ich die Veränderung des Algorithmus nicht,auch die Updates wie Panda und Pinguin sind okay. Man sollte es auch aus der wirtschaftlichen Sicht sehen und nicht nur die SEO im Auge behalten. Was ich damit meine, wer das Konzept hinter dem ganzen erkennt, ist klar im Vorteil. Google gibt vor, wir legen nach.

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