Warum, bitte, sind … (JMStV)

Warum, bitte, sind … (JMStV)

JMStV
JMStV

Es ist wirklich kaum zu ertragen. Mit den fehlenden Stimmern der NRW-Grünen und SPD hat der Bundesrat heute die überarbeitete Version des „Jugendmedienschutz-Staatvertrags“ beschlossen. Obwohl die Politiker dieser Tage beinahe stündlich ihre völlige Debilität glaubhaft nachweisen, ist dieser neue Coup tatsächlich bahnbrechend unterirdisch. Was da heute beschlossen wurde, ist nicht ein effektiver Jugendschutz. Stattdessen werden Website-Betreiber nun zum Freiwild herumstreunender Abmahnbanden. [Update: ok. Scheint, als hätten hier einige etwas überreagiert – so wie ich zum Beispiel :D Offenbar betrifft es nur solche Seite, die bedenkliche Inhalte haben. Siehe Kommentare.]

Worum geht es? Um nicht weniger als eine komplette Überarbeitung aller deutschsprachigen Websites. Jede (!) einzelne Website muss ab dem 1. Januar 2011 (!!!) mit einer Alterfreigabe gekennzeichnet sein. Und zwar nicht nur durch einen sichtbaren Button oder so was, sondern vor allem auch im Quelltext (vermutlich ein Metatag).

Einfach alles ab 18? Was macht Google?

Ab 12 - ab 16 - ab 18???
Ab 12 - ab 16 - ab 18???

Wer nun glaubt, man könne doch einfach alles „ab 18“ einstufen, vergisst ein Problem. Damit hat man zwar die Jugendverhüter schön gebauchpinselt, aber was ist mit Google?

Noch gibt es meines Wissens gar kein solches meta-Tag, mit dem man die Alterfreigabe einer Website einstufen kann. Aber selbst wenn es jetzt zügig eingeführt würde (bis ca. Mitte 2011), bin ich mal extremst gespannt, wie Google und Co. mit diesen Informationen umgehen werden. Vielleicht sehen wir im kommenden Jahr die größten Veränderungen in den Google Suchergebnissen ever.

Und die Bilder…

Bildersuche safeSearch
Bildersuche safeSearch

Und was passiert wohl mit Bildern, die auf einer Website zu sehen sind, die laut Alterfreigabe ab 18 ist? Verschwinden dann Millionen harmloser Bilder im SafeSearch-Filter? Denn damit wird man in Zukunft genötigt, von den Besuchern einen „Altersnachweis“ einzuholen. Ich bin gespannt, welche technischen Lösungen da nun in die Höhe schießen und vor allem, was sie kosten.

Mit Bloggen geld verdienen!
Mit Bloggen geld verdienen!

Wer eine Website gewerbsmäßig betreibt (und das ist auch schon bei einem kleinen Adsense-Banner der Fall), ist in Zukunft verpflichtet, einen Jugendschutzbeauftragten im Impressum auszuweisen. Für mich als Blogger heißt das vermutlich: ab zur Weiterbildung zum Jugendschutzbeauftragten.

Abmahnwahn geht weiter…

Abmahnanwalt
Abmahnanwalt

Nun könnte man sagen: ach, egal. Das Problem ist nur: man weiß nicht, wie die abmahnwilligen Ehrgeizlinge damit umgehen. Und wenn sich jetzt eine Industrie darauf vorbereitet, ab Anfang Januar aus vollen Löchern umher zu schießen, dann kann es leider teuer werden. Wer keine Alterskennzeichnung eingeführt hat, dem drohen empfindlich Abmahnungen. Und wer falsche Angaben gemacht hat, dem drohen angeblich bis zu 500.000 Eur Bußgeld.

Weihnachten 2010
Weihnachten 2010

Für die Weihnachtstage heißt es nun: schön die 350 Artikel und 5.500 Kommentare durchackern – und für jede Website einschätzen, ab wie viel Jahren sie wohl geeignet ist. Vorausgesetzt, es gibt zügig ein entsprechendes WordPress-Plugin. Für meine Künstlergalerie, die ohne ein Standard-CMS dahinter aufgebaut ist, wird das eine besonders langwierige Arbeit.

Tolle Alternative: Blog/Website nur noch Nachts „senden“

Blog tot?
Blog tot?

Es gibt übrigens noch eine Alternative. Die schlaue Staatsvertrag enthält die Hintertür der „späten Sendezeit“. Einfach nur zwischen 6 und 20 Uhr „nicht senden“. In dieser Zeit führt dann jeder Link auf die Startseite: „Dieser Blog sendet nur von 20 Uhr abends bis 6 Uhr morgens“. Klasse Idee. Was Google wohl dazu sagen wird? …

Ich habe keine Ahnung, was man nun machen sollte. Wenn man seinen Blog oder eine Website nicht am 1.1.2011 zumachen will, dann ist man wohl oder übel gezwungen, sich diese Arbeit der Alterseinschätzung  zu machen. Aber selbst dann bleibt ein undurchschaubares Restrisiko…

Risiko Selbsteinschätzung

Künstler Selbsteinschätzung? Unmöglich!
Künstler Selbsteinschätzung? Unmöglich!

Ok, wie oben beschrieben, muss ich mich sowieso zum „Jugenschutzbeauftragten“ weiterbilden. Aber auch dann bleibt ein Problem: wie kann ich meine Seiten – zum Beispiel meine Künstler-Homepage – tatsächlich selber einschätzen. In aller Regel schlägt so etwas fehl – die Hemmschwelle liegt bei Künstlern bekanntlich deutlich niedriger als bei normalen Bloggern (*scherz*). Die Alternative: Mitglied der „“„Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter“ (FSM) werden und für lausige 4.000 Piepen im Jahr die Seite einschätzen lassen. Das, genau das, ist, wovon ich schon immer geträumt habe (kotz).

Ausnahmen

Zu den Ausnahmen dieser Neuregelung zitiere ich aus dem Yucca-Tree-Blog:

Ausgenommen von dieser “freiwilligen Pflicht” zur Alterskennzueichnung sind übrigens Anbieter von Nachrichten “von allgemeinem Interesse”. Das stellt großen Nachrichtenseiten wie Spiegel Online von all diesen Pflichten frei. Es gibt keine objektiven Kriterien für “allgemeines Interesse”, ausschlaggebend ist offenbar nur die Anzahl der Leser. Bild.de darf also weiterhin sexistische Tittenbildchen für ein Publikum ab 0 Jahren ins Netz stellen, während ein kleines Blog mit erotischen Inhalten – und seien diese noch so romantisch und unsexistisch – sich mindestens ein “ab 16? einhandelt.

Quelle: „JMStV: Bundesländer beschließen juristisches Minenfeld für Blogger (Update)“ (Guter Artikel, dringend empfohlen)

Das schreiben andere

25 Gedanken zu „Warum, bitte, sind … (JMStV)

  1. Gegenfrage: Warum sind so viele Menschen so dämlich diese Politiker immer und immer wieder zu wählen?

  2. Na da kann ich ja von Glück reden, dass ich über einen Presseausweis vom DFJV verfüge. Diese Information werde ich jetzt aber mal schleunigst mit auf die Webseite packen.

    Zudem denke ich nun auch aktiv darüber nach, mich auch noch beim DJV anzumelden. Dann bin ich halt dann ein hauptberuflicher Journalist mit Erfahrungen beim Aufbau von Webseiten ;)

  3. Lächerlich! Absoluter Dummfang! Ich bin gespannt was es für konkrete Lösungsmöglichkeiten VOR der verabschiedung des Gesetzes kommen, andernfalls Mittelfinger hoch und … Wird echt immer verrückter! Wäre es nicht einfach mal angebracht, mittels jüngerer Leute das ganze zu besprechen und eine bessere Lösung zu finden? NEIN! .. Kann man sich aufregen wie man will, irgendwann brennt jemand hier in Dtl. mal die Sicherung durch und vergisst sich. An was man alles so denken muss, ist ungeheuerlich. Da braucht man auch garnicht an Google/SEO denken, denn das wird eh dauern.

    Martin, ich glaube du hast mit diesen Artikel einen sehr wunden Punkt in mir berührt, der mich an die Decke gehen lässt ;)

  4. Sorry, aber ich versteh den Wasserglasssturm hier nicht.
    16 Bundesländer müssen zustimmen
    9 haben es bereits gemacht
    ABER die in Hamburg werden es garantiert nicht vor den Wahlen im Feb 2011 machen :)
    da es keine echte Regierung gibt sondern alle im Wahlkampf sind. Manchmal sind Wahlen doch echt toll ;)
    Übrigens das wäre die Gelegenheit die entsprechenden „Genossen“ mal anzuspitzen und sie auf´n Pott zu setzen. Z.b: über http://www.abgeordnetenwatch.de/hamburg-716-0.html

  5. Was soll man zu so einem Gesetz noch sagen.
    Man kann gar nicht so viel essen, wie man kotzen möchte.

    Die drucken wahrscheinlich nicht nur ihre Emails aus, sondern auch ihre Facebook und Twitter Nachrichten.

    Einfach nur Lächerlich. Wahrscheinlich brauch man bald auch als Webmaster seine eigenen Lobbyisten.

    Ich bin ja für ermäßigte Steuern für all Einnahmen die online erzielt werden. Ähnlich wie bei den Hoteliers.

    Auch bin ich dafür jeden Adsense Clicks mit 50 Cent zusätzlich zu subventionieren. Bei den Milchbauern und den Banken funktioniert das ja schließlich auch.

    Die Finanzierung machen wir dann einfach mit noch mehr Schulden.
    Das positive daran: Wir verprassen das Geld im Inland und nicht für Irische Banken. Aber okay. Der irische Staatschef hat ja gesagt, das Irland für alle Schulden seiner Banken einsteht.
    Das Deutschland diese nun bezahlen muss, ist da nur logisch und sollte jedem Bürger einleuchten. Zumal es ja auch in den EU Verträgen klar geregelt ist.

    Ach ja das Beste zum Schluss: http://www.handelsblatt.com/archiv/bad-bank-sorgt-fuer-aufregung;606003
    Toller Artikel unter anderem über die Bad Bank HRE.
    Der Artikel an sich ist auch nichts besonderes, wäre da nicht dieses kleine Detail: Er ist im Jahr 2003 entstanden.

    Für die die es nicht wissen. Die HRE wurde bisher mit über 100 Mrd. – Tendenz steigend, gestützt. Absicht oder einfach nur grenzenlose Dummheit?

  6. Tja so ist das wenn Menschen über etwas entscheiden was sie selbst nicht betrifft. Ich beobachte das nun schon seit vielen, vielen Jahren. Es ist ein zwangsläufiger Mechanismus und es wird immer wieder so sein. In der Politik kann man das besonders gut verfolgen. Die Regel ist einfach…: Wenn Politiker/Regierung/Staat ein Gesetz oder Regelung auf den Weg bringen welches sie selber nicht betrifft, dann ist das Ergebnis fast immer katastrophal und richtet mehr Schaden an als je wieder gut gemacht werden kann. Komisch… warum kommt mir gerade ein Stopschild in den Sinn…?
    Naja, wer hinguckt kann es sehen… die Politiker leben in ihrer eigenen Welt und das Volk, die normalen Menschen, Gewerbetreibende, Arbeiter, Rentner, Kinder, Stundenten… naja, das Volk eben, lebt in einer anderen Welt. Und so lang das so ist wird immer wieder so ein Mist verzapft werden wie eben jetzt das mit der Alterskennzeichnung für Webseiten. So ist das… so und nicht anders…
    PS: Ehe jetzt ein falscher Eindruck entsteht… ich bin kein Pessimist.. ich bin Realist.. und hobbymäßig Optimist… ;-)

  7. ich glaube hier wird heißer gekocht, als es später gegessen wird. Diverse Blogs behandeln das Thema ja mittlerweile auch auf einem „trifft uns das wirklich“-Level. Das die Novellierung mal wieder in die Kategorie „übers Ziel hinaus“ und „Unsinn“ einzuordnen ist, lässt hoffen/vermuten, dass es nicht so kommt, wie viele sagen.
    Kann sich noch jemand an das Gesetz erinnern, dass publizistische Inhalte in Papierform an die Staatsbibliothek übermittelt werden müssen? Das war vor ungefähr zwei Jahren und soweit ich weiß ist das Gesetz auch so durchgewunken worden. Auswirkungen für Blogger in der Praxis? m.E. nahezu null.

    Insofern, erst mal abwarten und auf Weihnachten freuen, bevor dann die Inhalte klassifiziert werden müssen.

    cheers

  8. Da mein Server von meinen Seiten ‚eh schon in Frankreich steht, bin ich schon am überlegen ob ich meine „Whois.-Daten“ nicht auch gleich nach Frankreich aus lager, vielleicht kann man ja so quasi die dreckigen Politiker ärgern! :D

  9. @Chris: mag sein, dass es nicht so krasse Auswirkunegn hat. Aber:
    1. bleibt ein Risiko. Wenn die Deutsche National-Bibliothek die Dinge nicht einfordert, ist das eine Sache – aber wenn irgendein Anwalt (mit Hilfe eines angespitzten Konkurrenten) einen Blog daraufhin abmahnen kann, ist das ein anderes Risiko.

    Und 2. geht es ja auch ums Prinzip. Man kann doch nicht einfach so unsinnige Gesetze erlassen. Wo soll denn das hinführen? Warum können sich die Parteien nicht mal herablassen, vernünftige Arbeitskreise zum Thema Internet einzurichten. So ein Gesetz muss doch vorbereitet werden – und da muss man doch Experten zu rate ziehen, die den Sinn und Unsinn abwägen können. Und vor allem die Umsetzbarkeit…

  10. @Martin:
    Nicht falsch verstehen, ich will die Änderungen nicht gut heißen, aber: Sobald du im Internet eine Webseite betreibst hast du ein (mehr oder weniger) extremes Risiko in irgendwelche gesetzlichen Konflikte zu geraten. Sei es der böse Mitbewerber, oder ein enttäuschter Verbraucher.

    Das Risiko bleibt, aber ich denke – wie auch der Link zu Robert bestätigt – dass hier einiges vielleicht falsch verstanden wurde.

    Insofern: Klares nein gegen unsinnige Gesetze, aber auch nein, zu vorschnellen Handlungen (wie z.B. Blog offline nehmen) aus Protest.

    Abwarten und erst mal Tee trinken. Für SEOs ja nix ungewöhnliches ;)

  11. Ich wurde gestern hier durch den Artikel auch erstmal mächtig aufgeschreckt. Die ganze Sache war bisher irgendwie an mir vorbei gegangen.

    Aber nach einigem Querlesen in diversen Blogs kann ich wohl der Sache etwas entspannter entgegensehe.

    Ein Grund, warum ich bisher keine ernsthaften Versuche unternommen habe, mit meinen Blogs ein paar Euro zu verdienen sind gerade die wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen, die das möglicherweise hätte.

    Abmahnung durch einen Mitbewerber geht ja nur, wenn man mit jemandem im Wettbewerb steht, oder? :-)

  12. Wieso zurücklehnen, weil es wen nicht betrifft? Dafür betrifft es andere und das Gesetz ist einfach Schrott und kein Stück durchdacht.

    Was ist, wenn Hans Huber in seinem Blog berichtet hat, dass Pamela Anderson die 25. Brust-OP gut überstanden hat und dazu ein Bild postet? Schwupps, FSK16? Abmahnen, wenn das nicht zensiert wurde? Sollen die Kiddies dann wieder bei Rewe in Penthouse und Co. blättern gehen? Oder einfach ausländische Seiten ansurfen?

  13. Der neue JMStV kommt nicht… aber nicht, wegen des poltiischen Drucks, sondern weil sich die Parteien in NRW gegenseitig den schwarzen Peter in die Schuhe schieben wollen. Aber wie auch immer, der neue JMStV kommt (erst einmal) nicht.

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