Die Würde des Menschen im Internet-Zeitalter

Die Würde des Menschen im Internet-Zeitalter

Der Menschheit Würde ...
Der Menschheit Würde …

In Artikel [1] unserer Verfassung heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar„. Auf diesem ersten aller Grundrechte basiert die gesamte Verfassung dieses Staates. Nur: weiß überhaupt noch jemand, was „Würde“ eigentlich ist? Getrieben vom technologischen Fortschritt staunen wir über immer neue Möglichkeiten. Die mächtige Allianz zwischen Anbieter-Konzernen und Nutzern ist durch den Gesetzgeber schon lange nicht mehr kontrollierbar. Das Zauberwort heißt Usability. Was die Massen erfreut, setzt sich+ durch. Es wird immer alles schneller, bunter, schöner – wer fragt da noch nach Gefahren. … Aber was hat das mit der Würde des Menschen zu tun?

Was ist eigentlich „Würde“?

Was Würde ist, war den Gründungsvätern (und -müttern) dieser Republik wohl recht klar. Aber der Begriff ist aus der Mode gekommen – und er unterliegt auch dem Wandel der Zeit. Würde bedeutete ursprünglich „Wert“. Im Laufe der Aufklärung wurde dem Menschen an sich ein Wert zuerkannt, der mit Dingen wie „Freiheit des Willens“, „Selbstbestimmung“ und „Erhabene Gesinnung“ verbunden wird. Auch Dinge wie Geschlecht, Alter, Religion, sexuelle Neigung, körperliche oder geistige Behinderung sind durch die Würde unantastbar. Mehr zum Thema Würde bei Wikipedia.

Würde ist also etwas, das einem Menschen oder einem Amt innewohnt. Wie wir vor einiger Zeit gesehen haben, kann sich ein Mensch als nicht geeignet für die Würde eines Amtes (des Bundespräsidenten) erweisen. Im Grundgesetz (und hier) geht es aber um die Würde des Menschen.

Was allzu leicht vergessen wird, ist, dass diese Würde zu Achtung und Respekt verpflichtet. Und genau hier komme ich zum Thema Internet. Zwei Beispiele:

Ausspähen der Privatsphäre

Das Ausspähen von Briefen und Telefonaten ist nicht nur durch Artikel [1], sondern sogar explizit durch Artikel [10] geschützt: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“ Nur: dort steht noch nichts von Emails, Social-Media-Profilen, flickr-Fotos, youtube-Videos und was auch immer. Lediglich für den Fall, dass die  „freiheitlichen demokratische Grundordnung“ geschützt werden muss, sind Ausnahmen zulässig. Siehe dazu.

Kurzum: es widerspricht der Würde des Menschen, ausgespäht zu werden. Im Falle der NSA ist das seit dem Merkelphone vielen bewusst, nur: Das ändert nichts, weil das globale Netz nicht durch Ländergesetze sanktionierbar ist. Und es ist sowieso nur die Spitze eines Eisberges. Wir werden doch inzwischen an allen Ecken und Ende ausgespäht. Noch gefährlicher als die NSA ist in meinen Augen Google. Denn bei einem wirtschaftlich denkenden Konzern ist die Kontrolle, was mit den Daten passiert,  noch schwieriger als bei einer staatlichen Organisation. Ebenso bei facebook, Amazon, Apple und vielen mehr: sie alle sammeln mehr oder weniger offen endlose Datenmengen über jeden, der ihre Dienste nutzt. Für viele ist das ein scheinbar fairer Deal: Daten gegen (kostenlose) Dienste. Man hat ja auch nichts zu verbergen.

Nur: das ist die Ursuppe für schlimmste Sience-Fiction. Wer kann schon absehen, wo wir in 10 Jahren stehen? Wer kann garantieren, dass das Verhältnis zwischen Europa und den USA ein gutes bleibt? Wer kontrolliert die Konzerne – heute und morgen? Wer kann wissen, welche Strategien diese Konzerne in 10 oder 20 Jahren verfolgen? Festplatten vergessen nichts, Strategien aber ändern sich…

Umgang mit Menschen im Social Web

Nun zu einem ganz anders gelagerten Beispiel: Lustige Bilder, Texte und Videos sind eine Art Schmieröl des Social-Webs. Wer solche Bilder oder Videos teilt, macht sich beliebt und findet schnell neue Freunde. In dem Strom neuer Meldungen sind die, über die man nicht nachdenken braucht, sondern nur lachen kann, die erfolgreichsten. Leider wird nur wenig darüber nachgedacht, was man da so alles teilt. Nach meiner Einschätzung sind 25% aller „komischen Postings“ solche, die sich über die scheinbare Dummheit oder Ungeschicklichkeit anderer Menschen lustig machen. Sei es ein Hobby-Seo, der ein Video erstellt hat, das seine absolute Unkenntnis offenbart. Oder ein Esoterik-Fan, der an die heilende Kraft von Hundekacke glaubt. Oder eines dieser Fail-Videos, wo Menschen gegen Laternen laufen oder mit dem Fahrrad vom Dach fallen…

Kurzum: es findet eine massive Verrohung statt, sowohl durch die, die solche Inhalte einstellen, als auch – und vor allem – durch die, die solche Inhalte zur Belustigung teilen. Auch ein Andersdenkender ist ein Mensch – und auch dessen Würde ist unantastbar.

Problem: Jugend, ungefiltert

Eines der Hauptprobleme scheint mir zu sein, dass die Konzerne es besonders auf die Jugendlichen abgesehen haben. Denn bei denen entwickeln sich ja erst langsam ein Gespür für gesellschaftliche Werte. Und sie sind somit prädestiniert für den sorglosen Umgang mit Daten und Werten. Ohne direkt betroffen zu sein, bekomme ich inzwischen live mit, wie Jugendliche andere über Social Media mobben oder sich über schwerste Verletzungen anderer amüsieren. Die Lust am Krassen schafft Regeln, die in der Online-Welt normal zu sein scheinen – aber gemessen an den Regeln des menschlichen Miteinanders zügellos sind. Es wird dringend und allerhöchste Zeit, dass Themen wie Google, Social-Media oder youTube Bestandteil der schulischen Ausbildung werden – und zwar nicht nur hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, sondern auch und besonders hinsichtlich ihrer Gefahren.

Problem: Online-Marketer

Nun noch ein Schwenk zur Zielgruppe dieses Blogs: Wer mit einem Online-Business sein Geld verdient, neigt dazu, die Möglichkeiten auszureizen. Wenn es um den eigenen Nutzen geht, sind gesellschaftliche Werte viel unbedeutender als wenn man über andere spricht. Natürlich sollte inzwischen jeder wissen, dass die Google-Ergebnisse nicht „objektiv“ für Qualität stehen. Es gibt praktisch keine lukrativen Keywords, in denen die ersten 20 – 30 Ergebnisse nicht für Suchmaschinen optimiert wurden. Es ist auch gar nicht verwerflich, die Google-Rankings so zu manipulieren: denn Ziel ist es ja, den best-möglichen Inhalt für die eigene Zielgruppe anzubieten, oder?

Die meisten Power-User bei Pinterest, Google+ oder facebook profitieren davon, dass sie grenzwertige Dinge teilen. Wer jetzt meine Profile durchforstet, wird bemerken, dass ich das auch schon getan habe. Genau aus dieser Einsicht schreibe ich diesen Artikel: die Social-Media-Regeln von Google und Co. laufen darauf hinaus, den Umgang mit privaten Daten zu verharmlosen, die Follower als potentielle Käufer zu züchten, selber Daten von anderen zu sammeln, mit Daten zu handeln, sich an „unpassenden Menschen“ zu belustigen und so sein Profil auf Kosten anderer aufzubauen.

Fazit: lasst uns unsere Würde nicht verlieren

Ich plädiere daher zu etwas mehr Aufmerksamkeit beim Teilen von Fail-Fun und Ähnlichem. Ich plädiere für mehr Sensibilität beim Umgang mit Daten. Ich plädiere für Verantwortungsgefühl beim Erstellen von Inhalten. Auch wenn das Internet noch so viele Möglichkeiten bietet, sollten wir die Werte unserer Gesellschaft, insbesondere die Würde des Menschen – nicht vergessen. Nichts wird so bleiben wie es ist. Und wie es wird, haben wir in der Hand. Oder um es mit Schiller zu sagen:

Der Menschheit Würde ... von Friedrich Schiller
Der Menschheit Würde … von Friedrich Schiller

Links

  • Hier geht es zum Grundgesetz, die ersten Artikel lassen sich sehr einfach lesen.
  • BR-Radiosendung: Was ist Würde?
  • Wikipedia: Menschenwürde
  • Es gibt ein aktuelles Buch dazu, ich glaube von einem FAZ-Kulturredakteur. Ich habe es nur kurz beim Einschalten des Autoradios gehört (was mich auch zu diesem Artikel inspiriert hat), aber leider nichts weiter dazu gefunden. Wer es weiß, bitte in die Kommentare.

17 Gedanken zu „Die Würde des Menschen im Internet-Zeitalter

  1. bei karl gefunden, in ruhe gelesen und für grossartig befunden. danke für die etwas leiseren und sehr wichtigen worte im grossen www gedöns.

  2. Hallo Martin,

    schöner Artikel, wobei ich befürchte, dass alles noch viel schlimmer kommen wird. Als ich http://www.youtube.com/watch?v=tqorKlAcKaM das erste Mal gesehen habe, dachte ich, dass wäre ein Fake, also ein mit Hilfe einer Videosoftware erstellte `Fiktion´ eines 100% realistisch wirkenden Interviews mit Franz Beckenbauer.

    Schaut man sich die Qualität der heutigen Spiele für die Playstation usw. an, sind wir dort, dass dieses (bald) schon möglich ist. Dann wird es richtig verrückt im Internet und man kann wirklich gar nichts mehr für bare Münze nehmen…

    Grüße

    Gretus

  3. Danke Martin für diesen Artikel. Du beschreibst unseren lausigen Zustand gut. Ich glaube es muß erst zu einem Gau kommen bevor die Gesellschaft auch im Netz die Menschenwürde mehr achtet. Im schlimmsten Fall kommen wir zur Totalüberwachung mit Exekutive. Die Totalüberwachung haben wir schon, die Exekutive noch nicht. Du mußt also gradestehen für das was von dir im Netz bekannt ist. Geradestehen vor den Konzernen und vor deinem Staat. Es klingelt an der Wohnungstür und 2 Polizisten verlangen von dir eine saftige Zahlung Ordnungsgeld oder sie nehmen dich mit und sprerren dich ein.
    Wollen wir hoffen daß es niemals einen totalitären Staat geben wird denn dann wäre Einsperren so ne Art Arbeitslager mit Umerziehung. Eine Horrorvorstellung!!

    Dann gäbe es noch den Weg die Politik zu sensibilisieren um von Staates wegen die Überwachung einzudämmen. Aber da haben wir in den letzten 2 Monaten lernen müssen daß unsere Damen und Herren Politiker vor unseren ausländischen „Freunden“ keine Eier haben …

  4. Durch diese Totalüberwachung lassen sich die Menschen in Gruppen einteilen. Nichts ist leichter als eine Gruppe als Sündenbock hinzustellen.

    Damit wäre das Volk beschäftigt und die Herrschenden haben ihre Ruhe.
    Das hatten wir schon mal.

    Desweiteren gilt im Falle Google & Co.: Gewinne werden eingestrichen, der Schaden bleibt der Gesellschaft.

    1. Die Zerspaltung der Gesellschaft ist doch genau das, was das System will: http://www.youtube.com/watch?v=LjfD62Cujds -> Text lesen !!!

      Heute ist allerdings jeder ein Sündenbock: Frauen gegen Männer, Inländer gegen Ausländer, Alt gegen Jung, Dumm gegen Klug, Arbeitende gegen Nichtarbeitende, …

      Leider sind viele Menschen zu sehr damit beschäftigt in der Tretmühle des System zu treten ohne das ganze mal zu hinterfragen.

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