Wem nutzt Twitter? Wie riskant ist twittern?

Wem nutzt Twitter? Wie riskant ist twittern?

Twitter - Hat der Vogel bald ausgezwitschert?
Twitter - Hat der Vogel bald ausgezwitschert?

Twitter. Alle machen mit. Und zwitschern, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist: über Essen, Autos, Freizeit, Geschmack, Wünsche, Träume, Beziehungen und so weiter und so fort…

Twitter ist Hype. Und follow ist geil. So viele Fliegen können nicht irren. Wer durch die SEO-Blogs tobt, kann sich vor Twitter-Tipps kaum retten. Vor einigen Wochen haben die meisten durch Anfixen zu punkten versucht: „Was ist Twitter?“ – Mittlerweile hat sich der Fokus verschoben: „Wie bekomme ich mehr follower?“ –  Und man kann sich an zehn Fingern ausmalen, dass die nächste Runde lautet: „Wie verdiene ich viel Geld mit Twitter?“ Dabei ist wie bei allen Hype-Themen: Im Grunde versuchen (fast) alle, den allgemeinen Twitter-Hype am Leben zu halten, um ihn irgendwie für sich nutzbar zu machen. Die Grundfragen werden jedoch meist ausgeklammert übergangen: „Welchen Wert hat ein follower?“ – „“Wer profitiert von Twitter?“ – „Welche Risiken birgt Twitter?

Auch ich bin bei Twitter dabei. Aber ich habe einige Bedenken, die ich in diesem Artikel darlegen möchte. Damit das Ganze nicht so im luftleeren Raum bleibt, versuche ich zunächst einmal die Fakten über Twitter – soweit sie recherchierbar sind – zu benennen.

Twitter – Fakten

Twitter wurde Anfang 2006 entwickelt. Ursprünglich war es als Intranet-Schnittstelle aufgebaut worden. Es sollte die interne Kommunikation der Firma Odeo (San Francisco) erleichtern. Die „Kurzmitteilung in Echtzeit“ war sehr effektiv und unkompliziert – folglich war sie schnell sehr beliebt. Ende 2006 wurde Twitter von der Firma Obvious übernommen und öffentlich angeboten. Schnell zeigte sich ein gigantisches Wachstumspotential. Twitter wurde daher im April 2007 als eigenständige Firma ausgegliedert. Mitte 2008 wurde die Firma Summize integriert, die eine Twitter-Suche in (nahzu) Echtzeit realisiert hatten.

Was zeichnet Twitter aus?

Microblogging Service - Web 2.0
Microblogging Service - Web 2.0

Twitter ist ein MicroBlogging-Dienst. Eine Nachricht darf maximal 140 Zeichen umfassen. Für viele liegt die Würze in der Kürze. Man kommt ohne Umschweife zur Sache. Die andere Seite der Medaille ist natürlich, dass Kommunikation zum Phrasen-Dreschen verkommt. Twitter ist oberflächlich. Ab und zu wird versucht, über hin- und her-tweeten ein wenig Substanz in Themen zu bringen. Aber mit mäßigem Erfolg.

Die Beiträge sind in aller Regel öffentlich. In einigen Fällen wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Dadurch wird Twitter aber praktisch zu einem Chat-System, in dem nur angemeldete Benutzer einer Gruppe kommunizieren. Das Besondere an Twitter ist sicherlich die Publizität. Wie Twitter selber seinen Dienst beschreibt, kann man im offiziellen Twitter-About nachlesen.

Twitter: modern, jugendlich, populär, erfolgreich

„Was machst Du gerade?“ („What are you doing?“) – Mit dieser Frage wird man empfangen. Für einen Teamleiter, der seine Mannschaft koordinieren will, ist das durchaus sinnvoll zu wissen. Aber aus Sicht eines x-beliebigen Followers im WorldWideWeb? Was ich gerade mache??? Wen interessiert das? … Dazu später mehr.

Barack Obama nutzte Twitter für Wahlkampf
Barack Obama nutzte Twitter für Wahlkampf

Die Popularität von Twitter ist (auch) eng verknüpft mit der letzten amerikanischen Präsidentenwahl. Barack Obama (bzw. sein Team) haben es brilliant verstanden, internet-affine Wählerschichten durch Tweets zu binden. Der Touch des jugendlich modernen Politikers hat dabei Obamas Image erheblich geprägt. Durch clevere Kampagnen hat er es geschafft, zeitweise über 300.000 Follower zu mobilisieren. In seinem Fall hat das gut geklappt. Im Gegenzug hat Twitter bzw. die Community es verstanden, das populäre und erfolgreiche Image der Obama-Kampagne auf Twitter selber zurück zu führen holen. Kurz und überspitzt:

  • Obama ist jugendlich und modern, weil er twittert.
  • Twitter ist populär und erfolgreich, weil Obama es nutzt.

Dass Obama seit seinem Amtsantritt kaum noch twittert: wen stört das schon?

Was nutzen Follower?

Ein Twitterer hat follower. Und inzwischen sehen die meisten die vordringlichste Aufgabe darin, möglichst viele follower zu haben zu generieren. Wofür das dann einmal gut sein soll? … Egal. Erst mal Masse machen. Was die Follower eigentlich wollen, wissen sie ja selbst nicht. In den meisten Fällen hofft man ja, durch following auch refolloed zu werden. Und damit die Gemeinde zu vergrößern. Interessante Meldungen sehen dann so aus: „Juhu, ich hab jetzt 500 Follower„.

Der vordergründige Nutzen ist Social Marketing. Je mehr Follower ich habe, um so leichter kann ich meine Botschaften streuen. Kein Wunder, dass selbsternannte Marketing-Strategen Twitter für die Offenbarung halten. Aber im Grunde ist es für die meisten Seos doch nichts anderes als ein Ersatz-Feed. Ein Headline-Streuer, den man gelegentlich mit netten Empfehlungen (Links) auflockert.

Twittern und seriöse Meldungen

Coole Falschmeldung: Angela Merkel ist tot
Coole Falschmeldung: Angela Merkel ist tot

Es gibt eine lange Liste von Falschmeldungen, die via Twitter schnell populär wurden. Logisch. Wenn man die richtigen Retwitterer findet, kann sich jede absurde Falschmeldung wie ein Lauffeuer verbreiten. Nur leider: die wenigsten machen sich die Mühe, den Wahrheitsgehalt zu prüfen. Das ist beim Twittern irgendwie nicht vorgesehen. Bislang finden es zwar die meisten noch cool, auf Falschmelungen herein zu fallen. Aber mittelfristig wird Twitter nicht nur mit seiner Oberflächlichkeit, sondern auch mit seiner Glaubwürdigkeit ein Problem haben.

Zu diesem Thema kann ich einen Blog-Beitrag bei Alexander Holl („Die virale Kraft von Twitter„) nur empfehlen. Dabei meine ich nicht nur den Artikel selber, sondern auch und vor allem die anschließende Diskussion. Kurz zusammengefasst: Aus den kurzen Twitter-Phrasen hat sich eine kleine Meinungsverschiedenheit entwickelt, die sich aufgrund etwas nachlässiger (provokanter) Tweet-Formulierungen schnell aufgeschaukelt hat. Nichts als heiße Luft – die aber auch nach ihrer Entdeckung noch lange zu Abkühlen brauchte. … Eines wird dabei sehr deutlich: wenn man via Twitter eine missverständliche Formulierung macht, oder in eine gemachte Community ein ungewünschtes Ei legt, dann kann die Geschichte schwer nach hinten losgehen.

Ein schönes Beispiel für eine „Fehleinschätzung“ hinsichtlich inhaltlicher Substanz und Glaubwürdigkeit von Twitter-Beiträgen hat der Sistrix-Blog geliefert. Zur Erinnerung: Johannes hatte seinerzeit den Versuch gestartet, die Twittermeldungen in seine Blogartikel zu integrieren. Das war ein paar Tage ein schön unübersichtliches Chaos, dann hat er es (glücklicherweise) wieder entfernt.

Twitter und Datenschutz

Das größte Risiko bei Twitter wird jedoch bislang tot geschwiegen: jeder, der bei Twitter mitmacht, gibt in den AGBs seine Daten zur Weiterverwendung frei. Hier ein Zitat aus der „Twitter Privacy Police“ (7. Absatz)

Use of Contact Information In addition, we may use your contact information to market to you, and provide you with information about, our products and services, including but not limited to our Service.

Frei übersetzt: Twitter darf die Daten benutzen, um Werbung zu senden oder einzubinden – und zwar nicht nur auf oder für Twitter. Das ist schon problematisch genug, allerdings kommt das dicke Ende erst noch: Natürlich ist es technisch kein Problem, aus den privaten Daten ein marktrelevantes Userprofil zu ermitteln. Nehmen wir zum Beispiel folgende Tweets:

  • Twitter-Suche „Segeln“ – Beispiel: „Gerade Segelschein gemacht – los gehts …
  • Twitter-Suche „Wieder Single“ – Beispiel: „Blöder Sack – Endlich wieder Single…
  • Twitter-Suche „Mein iPhone“ – Beispiel: „Mist, im Audi A6 wird das iPhone nicht erkannt…

Wenn das mal kein El Dorado für Marketing-Daten-Sammler ist. Natürlich wird die ganze Sache längst händisch ausgeschlachtet. So wie auch alle anderen Social-Web-Dienste durchforstet werden. Aber das dauert und ist mühsam. Daher lohnt es sich bisher nur bei Top-Verdienern (deren Umstände ja meist am leichtesten zu ermitteln sind, siehe XING). Aber wenn man ohne Einschränkung aus den gesamten Twitter-Datenbestand schöpfen könnte, würde ein echter Dukaten-Kacker Goldesel daraus. Daher meine Vermutung über die Zukunft von Twitter:

Twitter: Hat der Vogel bald ausgezwitschert? Wem nutzt Twitter? Wie riskant ist Twitter?
Twitter: Hat der Vogel bald ausgezwitschert? Wem nutzt Twitter? Wie riskant ist twittern?

Was wird aus Twitter?

Aus meiner Sicht ganz klar: Twitter wird von einem Konzern übernommen, die Interesse an persönlichen Profilen (Schwerpunkt Marktverhalten) hat. Das wird in erster Linie Google sein, weil man dort sowieso eine gigantische Privatdaten-Sammlung hat, die sich monetarisieren läßt. Aber Twitter ziert sich. Die Jungfrau will sich nicht dem Erst-Besten hingeben. Und vor allem: weiter die Unschuldige mimen. Ich vermute, dass Twitter auf ein Konsortium anderer Firmen spekuliert, die weit mehr als Google hinblättern würden.

Das vorrangige Twitter-Bestreben wird sein: Benutzer in Sicherheit wiegen und Vertrauen suggerieren, damit sie auch weiterhin ungezügelt persönliche und private Daten preisgeben. Denn ohne diese freizügige Privatheit wäre Twitter nichts wert.

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15 Gedanken zu „Wem nutzt Twitter? Wie riskant ist twittern?

  1. Gut geschriebener Artikel über twitter. Alles schön auf den Punkt gebracht. Und der Blog gefällt mir – werd ich jetzt bei Twitter folgen. :)

    Grüße
    M*

  2. Super Artikel.

    Ich denke Twitter ist nur ein Hype für die extrovertierten, sehr mitteilungsbedürftigen Zeitgenossen im Web.

  3. @millus: Danke. Hab eben erst gesehen: coole Redesign deines Blogs.

    @dieter: Die Gefahr ist ja, dass Twitter auch andere, nicht nur die notorischen Extros, aus der Reserve locken soll.

  4. Hallo Martin,
    ich finde es gut, dass du dich kritisch mit Twitter auseinandersetzt und die Dinge offen ansprichst. Ich bin auch grade frisch bei Twitter und weiß noch nicht wie ich den Nutzen für mich einschätzen kann. Das Risiko welches mit Twitternutzung einhergeht sollte man immer im Blick haben.
    Das mit der Vermarktung der persönlichen Daten ist mir neu. Dane für den Hinweis. Ich bleibe dir als RSS-Abonnent weiter treu. :-)
    Grüße
    Dennis

  5. Hallo Martin, wirklich ein klasse Artikel! :D Ich hatte mich vor einigen Wochen auch bei Twitter registriert. Da ich aber nie die Zeit gefunden haben es effektiv zu genutzt, habe ich meinen Account nach wenigen Tagen wieder gelöscht. Einige Zeit später dachte ich mir „Naja, man kann es sich ja doch nochmal anschauen – immerhin hört man überfall ja _fast_ nur Positives darüber“ und voila… so ganz werden die Daten wohl nicht gelöscht, wenn man seinen Account deaktiviert. Zumindest meine Emailadresse wurde weiterhin gespeichert, was bei der Neuregistrierung mit der Meldung „Email has already been taken“ bestätigt wurde…

  6. Wie immer guter Artikel….auch mir erschliesst sich der Sinn nicht zu 100 % …Aber in meinem Alter kann es ja auch daran liegen das das das zu Hip für mich ist ;-) Habe zwar einen Account nutze diesen aber nicht….

  7. Hallo,
    nun während ich mehr und mehr in die Welt des Twitterns eintauche, habe ich für mich persönlich Twitter als ein Instrument der Webpromotion entdeckt und ich möchte es auch weiterhin nutzen.

    Die Risiken und Gefahren beim Twitter: Derzeit habe ich mich mit diesem Thema noch nicht so befasst. Dass private Daten gesammelt und archiviert werden können!? Das ist doch bei Google nicht anders:-) Dass man sich in einer Twitter-Timeline wie beim Chatten vorkommt, kann schon manchmal zutreffen. Daher kann man vielleicht es effektiver gestalten und nur begrenzt untereinander twittern. Es raubt einem Blogger auch massenhaft Zeit, leider.

    Aber ansonsten kann man ruhig nebenbei etwas twittern und sehen, was mit Twitter in naher Zukunft passieren wird.
    Grüsse..

  8. Schon etwas verspätet, aber dennoch ein Kommentar: immer mehr Informationen in immer kürzerer Zeit von und an immer mehr Menschen…. irgendwo ist auch bei uns Menschen die Multitasking-Grenze erreicht. Internet-Suchmaschinen und E-mail hat schon die Kommunikation beschleunigt und raubt gleichzeitig eine Menge Zeit. Mein Tipp: Entschleunigung (und damit ist Twitter überflüssig!)

  9. Ich finde es auch irgendwie schlimm, dass Twitter so abgenommen hat. Nur noch Spamm, kein richtiger User mehr drinnen.

  10. @Steve: Ich bin von Twitter gänzlich abgekommen. Da findet man in der Menge kaum noch brauchbares, alles auotmatisierter Datenmüll.

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